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Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit -
08-21-2002, 06:04 PM
Ich bin heute der Überzeugung, daß der Mann sich im allgemeinen, Fälle ganz besonderer Begabung ausgenommen, nicht vor seinem dreißigsten Jahre in der Politik öffentlich betätigen soll. Er soll dies nicht, da ja bis in diese Zeit hinein zumeist erst die Bildung einer allgemeinen Plattform stattfindet, von der aus er nun die verschiedenen politischen Probleme prüft und seine eigene Stellung zu ihnen endgültig festlegt. Erst nach dem Gewinnen einer solchen grundlegenden Weltanschauung und der dadurch erreichten Stetigkeit der eigenen Betrachtungsweise gegenüber den einzelnen Fragen des Tages soll oder darf der nun wenigstens innerlich ausgereifte Mann sich an der politischen Führung des Gemeinwesens beteiligen.
Ist dies anders, so läuft er Gefahr, eines Tages seine bisherige Stellung in wesentlichen Fragen entweder ändern zu müssen oder wider sein besseres Wissen und Erkennen bei einer Anschauung stehenzubleiben, die Verstand und Überzeugung bereits längst ablehnen. Im ersteren Falle ist dies sehr peinlich für ihn persönlich, da er nun, als selber schwankend, mit Recht nicht mehr erwarten darf, daß der Glaube seiner Anhänger ihm in gleicher unerschütterlicher Festigkeit gehöre wie vordem; für die von ihm Geführten jedoch bedeutet ein solcher Umfall des Führers Ratlosigkeit sowie nicht selten das Gefühl einer gewissen Beschämung den bisher von ihnen Bekämpften gegenüber. Im zweiten Falle aber tritt ein, was wir besonders heute so oft sehen: in eben dem Maße, in dem der Führer nicht mehr an das von ihm Gesagte glaubt, wird seine Ver-
{072 Der Politiker}
teidigung hohl und flach, dafür aber gemein in der Wahl der Mittel. Während er selber nicht mehr daran denkt, für seine politischen Offenbarungen ernstlich einzutreten (man stirbt nicht für etwas, an das man selber nicht glaubt), werden die Anforderungen an reine Anhänger jedoch in eben diesem Verhältnis immer größer und unverschämter, bis er endlich den letzten Rest des Führers opfert, um beim "Politiker" zu landen; das heißt bei jener Sorte von Menschen, deren einzige wirkliche Gesinnung die Gesinnungslosigkeit ist, gepaart mit frecher Aufdringlichkeit und einer oft schamlos entwickelten Kunst der Lüge.
Kommt so ein Bursche dann zum Unglück der anständigen Menschheit auch noch in ein Parlament, so soll man schon von Anfang an wissen, daß das Wesen der Politik für ihn nur noch im heroischen Kampf um den dauernden Besitz dieser Milchflasche seines Lebens und seiner Familie besteht. Je mehr dann Weib und Kind an ihr hängen, um so zäher wird er für sein Mandat streiten. Jeder sonstige Mensch mit politischen Instinkten ist damit allein schon sein persönlicher Feind; in jeder neuen Bewegung wittert er den möglichen Beginn seines Endes und in jedem größeren Manne die wahrscheinlich von diesem noch einmal drohende Gefahr.
Ich werde auf diese Sorte von Parlamentswanzen noch gründlich zu sprechen kommen.
Auch der Dreißigjährige wird im Laufe seines Lebens noch vieles zu lernen haben, allein es wird dies nur eine Ergänzung und Ausfüllung des Rahmens sein, den die grundsätzlich angenommene Weltanschauung ihm vorlegt. Sein Lernen wird kein prinzipielles Umlernen mehr sein, sondern ein Hinzulernen, und seine Anhänger werden nicht das beklommene Gefühl hinunterwürgen müssen, von ihm bisher falsch unterrichtet worden zu sein, sondern im Gegenteil: das ersichtliche organische Wachsen des Führers wird ihnen Befriedigung gewähren, da sein Lernen ja nur die Vertiefung ihrer eigenen Lehre bedeutet. Dies aber ist in ihren Augen ein Beweis für die Richtigkeit ihrer bisherigen Anschauungen.
{073 Das politische Denken}
Ein Führer, der die Plattform seiner allgemeinen Weltanschauung an sich, weil als falsch erkannt, verlassen muß, handelt nur dann mit Anstand, wenn er in der Erkenntnis seiner bisherigen fehlerhaften Einsicht die letzte Folgerung zu ziehen bereit ist. Er muß in einem solchen Falle mindestens der. öffentlichen Ausübung einer weiteren politischen Betätigung entsagen. Denn da er schon einmal in grundlegenden Erkenntnissen einem Irrtum verfiel, ist die Möglichkeit auch ein zweites Mal gegeben. Auf keinen Fall aber hat er noch das Recht, weiterhin das Vertrauen der Mitbürger in Anspruch zu nehmen oder gar ein solches zu fordern.
Wie wenig nun allerdings heute einem solchen Anstand entsprochen wird, bezeugt nur die allgemeine Verworfenheit des Packs, das sich zur Zeit berufen fühlt, in Politik zu "machen".
Auserwählt dazu ist von ihnen kaum einer.
Ich hatte mich einst gehütet, irgendwie öffentlich aufzutreten, obwohl ich glaubte, mich mehr mit Politik beschäftigt zu haben als so viele andere. Nur im kleinsten Kreise sprach ich von dem, was mich innerlich bewegte oder anzog. Dieses Sprechen im engsten Rahmen hatte viel Gutes für sich: ich lernte so wohl weniger "reden", dafür aber die Menschen in ihren oft unendlich primitiven Anschauungen und Einwänden kennen. Dabei schulte ich mich, ohne Zeit und Möglichkeit zu verlieren, zur eigenen Weiterbildung. Die Gelegenheit dazu war sicher nirgends in Deutschland so günstig wie damals in Wien.
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Das allgemeine politische Denken in der alten Donaumonarchie war zunächst seinem Umfange nach größer und umspannender als im alten Deutschland der gleichen Zeit Teile von Preußen, Hamburg und die Küste der Nordsee ausgenommen. Ich verstehe nun allerdings unter der Bezeichnung "Österreich" in diesem Falle jenes Gebiet des großen Habsburgerreiches, das infolge seiner deutschen Besiedelung in jeglicher Hinsicht nicht nur die historische
{074 Wiens letzter Aufschwung}
Veranlassung der Bildung dieses Staates überhaupt war, sondern das in seiner Bevölkerung auch ausschließlich jene Kraft aufwies, die diesem politisch so künstlichen Gebilde das innere kulturelle Leben auf viele Jahrhunderte zu schenken vermochte. Je mehr die Zeit fortschritt, um so mehr war Bestand und Zukunft dieses Staates gerade von der Erhaltung dieser Keimzelle des Reiches abhängig.
Waren die alten Erblande das Herz des Reiches, daß immer wieder frisches Blut in den Kreislauf des staatlichen und kulturellen Lebens trieb, dann aber war Wien Gehirn und Wille zugleich.
Schon in ihrer äußeren Aufmachung durfte man dieser Stadt die Kraft zusprechen, in einem solchen Völkerkonglomerat als einigende Königin zu thronen, um so durch die Pracht der eigenen Schönheit die bösen Alterserscheinungen des Gesamten vergessen zu lassen.
Mochte das Reich in seinem Innern noch so heftig zucken unter den blutigen Kämpfen der einzelnen Nationalitäten, das Ausland, und besonders Deutschland, sah nur das liebenswürdige Bild dieser Stadt. Die Täuschung war um so größer, als Wien in dieser Zeit vielleicht den letzten und größten sichtbaren Aufschwung zu nehmen schien. Unter der Herrschaft eines wahrhaft genialen Bürgermeisters erwachte die ehrwürdige Residenz der Kaiser des alten Reiches noch einmal zu einem wundersamen jungen Leben. Der letzte große Deutsche, den das Kolonistenvolk der Ostmark aus seinen Reihen gebar, zählte offiziell nicht zu den sogenannten "Staatsmännern"; aber indem dieser Dr. Lueger als Bürgermeister der "Reichshaupt- und Residenzstadt" Wien eine unerhörte Leistung nach der anderen auf, man darf sagen, allen Gebieten kommunaler Wirtschafts- und Kulturpolitik hervorzauberte, stärkte er das Herz des gesamten Reiches und wurde aber diesen Umweg zum größeren Staatsmann, als die sogenannten "Diplomaten" es alle zusammen damals waren.
Wenn das Völkergebilde, "Österreich" genannt, endlich dennoch zugrunde ging, dann spricht dies nicht im geringsten gegen die politische Fähigkeit des Deutschtums in der
{075 Das Deutschtum in Österreich}
alten Ostmark, sondern war das zwangsläufige Ergebnis der Unmöglichkeit, mit zehn Millionen Menschen einen Fünfzig-Millionen-Staat von verschiedenen Nationen auf die Dauer halten zu, können, wenn eben nicht ganz bestimmte Voraussetzungen rechtzeitig gegeben wurden.
Der Deutschösterreicher dachte mehr als groß.
Er war immer gewohnt, im Rahmen eines großen Reiches zu leben und hatte das Gefühl für die damit verbundenen Aufgaben nie verloren. Er war der einzige in diesem Staate, der aber die Grenzen des engeren Kronlandes hinaus noch die Reichsgrenze sah; ja, als das Schicksal ihn schließlich vom gemeinsamen Vaterlande trennen sollte, da versuchte er immer noch der ungeheuren Aufgabe Herr zu werden und dem Deutschtum zu erhalten, was die Väter in unendlichen Kämpfen dem Osten einst abgerungen hatten. Wobei noch zu bedenken ist, daß dies nur noch mit geteilter Kraft geschehen konnte; denn Herz und Erinnerung der Besten hörten niemals auf, für das gemeinsame Mutterland zu empfinden, und nur ein Rest blieb der Heimat.
Schon der allgemeine Gesichtskreis des Deutschösterreichers war ein verhältnismäßig weiter. Seine wirtschaftlichen Beziehungen umfaßten häufig nahezu das ganze vielgestaltige Reich. Fast alle wirklich großen Unternehmungen befanden sich in seinen Händen, das leitende Personal an Technikern und Beamten war zum größten Teil von ihm gestellt. Er war aber auch der Träger des Außenhandels, soweit nicht das Judentum auf diese ureigenste Domäne seine Hand gelegt hatte. Politisch hielt er allein noch den Staat zusammen. Schon die Dienstzeit beim Heere warf ihn aber die engen Grenzen der Heimat weit hinaus. Der deutschösterreichische Rekrut rückte wohl vielleicht bei einem deutschen Regiment ein, allein das Regiment selber konnte ebensogut in der Herzegowina liegen wie in Wien oder Galizien. Das Offizierskorps war immer noch deutsch, das höhere Beamtentum vorherrschend. Deutsch aber waren endlich Kunst und Wissenschaft. Abgesehen vom Kitsch der neueren Kunstentwicklung, dessen Produktion allerdings auch einem Negervolke ohne weiteres
{076 Das Deutschtum in Österreich}
auch einem Negervolke ohne weiteres möglich sein dürfte, war der Besitzer und auch Verbreiter wahrer Kunstgesinnung nur der Deutsche allein. In Musik, Baukunst, Bildhauerei und Malerei war Wien der Brunnen, der in unerschöpflicher Fülle die ganze Doppelmonarchie versorgte, ohne jemals selber sichtlich zu versiegen.
Das Deutschtum war endlich noch der Träger der gesamten Außenpolitik, wenn man von den der Zahl nach wenigen Ungarn absieht.
Dennoch war jeder Versuch, dieses Reich zu erhalten, vergeblich, da die wesentlichste Voraussetzung fehlte.
Gür den österreichischen Völkerstaat gab es nur eine Möglichkeit, die zentrifugalen Kräfte bei den einzelnen Nationen zu überwinden. Der Staat wurde entweder zentral regiert und damit aber auch ebenso innerlich organisiert, oder er war überhaupt nicht denkbar.
In verschiedenen lichten Augenblicken kam diese Einsicht auch der "Allerhöchsten" Stelle, um aber zumeist schon nach kurzer Zeit vergessen oder als schwer durchführbar wieder beiseitegetan zu werden. Jeder Gedanke einer mehr föderativen Ausgestaltung des Reiches mußte zwangsläufig infolge des Fehlens einer starken staatlichen Keimzelle von überragender Macht fehlschlagen. Dazu kamen noch die wesentlich anderen inneren Voraussetzungen des österreichischen Staates gegenüber dem Deutschen Reiche Bismarckscher Fassung. In Deutschland handelte es sich nur darum, politische Tradition zu überwinden, da kulturell eine gemeinsame Grundlage immer vorlag. Vor allem besaß das Reich, von kleinen fremden Splittern abgesehen, nur Angehörige eines Volkes.
In Österreich lagen die Verhältnisse umgekehrt.
Hier fiel die politische Erinnerung eigener Größe bei den einzelnen Ländern, von Ungarn abgesehen, entweder ganz fort, oder sie war vom Schwamm der Zeit gelöscht, mindestens aber verwischt und undeutlich. Dafür entwickelten sich nun im Zeitalter des Nationalitätenprinzips in den verschiedenen Ländern völkische Kräfte, deren Überwindung in eben dem Maße schwer werden mußte, als sich am Rande,
{077 Zentrifugale Kräfte der Völker Österreichs}
der Monarchie Nationalstaaten zu bilden begannen, deren Staatsvölker, rassisch mit den einzelnen österreichischen Volkssplittern verwandt oder gleich, nunmehr ihrerseits mehr Anziehungskraft auszuüben vermochten, als dies umgekehrt dem Deutschösterreicher noch möglich war.
Selbst Wien konnte auf die Dauer diesen Kampf nicht mehr bestehen.
Mit der Entwicklung von Budapest zur Großstadt hatte es zum ersten Male eine Rivalin erhalten, deren Aufgabe nicht mehr die Zusammenfassung der Gesamtmonarchie war, sondern vielmehr die Stärkung eines Teiles derselben. In kurzer Zeit schon sollte Prag dem Beispiel folgen, dann Lemberg, Laibach usw. Mit dem Aufstieg dieser einstmaligen Provinzstädte zu nationalen Hauptstädten einzelner Länder bildeten sich nun auch Mittelpunkte für ein mehr und mehr selbständiges Kulturleben derselben. Erst dadurch aber erhielten die völkisch-politischen Instinkte ihre geistige Grundlage und Vertiefung. Es mußte so einmal der Zeitpunkt herannahen, da diese Triebkräfte der einzelnen Völker mächtiger wurden als die Kraft der gemeinsamen Interessen, und dann war es um Österreich geschehen.
Diese Entwicklung lies sich seit dem Tode Josephs II. in ihrem Laufe sehr deutlich feststellen. Ihre Schnelligkeit war von einer Reihe von Faktoren abhängig, die zum Teil in der Monarchie selber lagen, zum anderen Teil daher das Ergebnis der jeweiligen außenpolitischen Stellung des Reiches bildeten.
Wollte man den Kampf für die Erhaltung dieses Staates ernstlich aufnehmen und durchfechten, dann konnte nur eine ebenso rücksichtslose wie beharrliche Zentralisierung allein zum Ziele führen. Dann mußte aber vor allem durch die prinzipielle Festlegung einer einheitlichen Staatssprache die rein formelle Zusammengehörigkeit betont, der Verwaltung aber das technische Hilfsmittel in die Hand gedrückt werden, ohne das ein einheitlicher Staat nun einmal nicht zu bestehen vermag. Ebenso konnte nur dann auf die Dauer durch Schule und Unterricht eine einheitliche Staatsgesinnung herangezüchtet werden. Dies war nicht in zehn oder
{078 Folgen blutsmäßiger Verschiedenheit}
zwanzig Jahren zu erreichen, sondern hier mußte man mit Jahrhunderten rechnen, wie denn überhaupt in allen kolonisatorischen Fragen der Beharrlichkeit eine größere Bedeutung zukommt als der Energie des Augenblicks.
Daß dann die Verwaltung sowohl als auch die politische Leitung in strengster Einheitlichkeit zu führen sind, versteht sich von selbst.
Es war nun für mich unendlich lehrreich, festzustellen, warum dies nicht geschah, oder, besser, warum man dies nicht getan. Nur der Schuldige an dieser Unterlassung war der Schuldige am Zusammenbruche des Reiches.
Das alte Österreich war mehr als ein anderer Staat gebunden an die Größe seiner Leitung. Hier fehlte ja das Fundament des Nationalstaates, der in der völkischen Grundlage immer noch eine Kraft der Erhaltung besitzt, wenn die Führung als solche auch noch so sehr versagt. Der einheitliche Volksstaat kann vermöge der natürlichen Trägheit seiner Bewohner und der damit verbundenen Widerstandskraft manchmal erstaunlich lange Perioden schlechtester Verwaltung oder Leitung ertragen, ohne daran innerlich zugrunde zu gehen. Es ist dann oft so, als befinde sich in einem solchen Körper keinerlei Leben mehr, als wäre er tot und abgestorben, bis plötzlich der Totgewähnte sich wieder erhebt und nun staunenswerte Zeichen seiner unverwüstlichen Lebenskraft der übrigen Menschheit gibt.
Anders aber ist dies bei einem Reiche, das aus nicht gleichen Völkern zusammengesetzt, nicht durch das gemeinsame Blut, als vielmehr durch eine gemeinsame Faust gehalten wird. Hier wird jede Schwäche der Leitung nicht zu einem Winterschlaf des Staates führen, sondern zu einem Erwachen all der individuellen Instinkte Anlaß geben, die blutsmäßig vorhanden sind, ohne sich in Zeiten eines überragenden Willens entfalten zu können. Nur durch jahrhundertelange gemeinsame Erziehung, durch gemeinsame Tradition, gemeinsame Interessen usw. kann diese Gefahr gemildert werden. Daher werden solche Staatsgebilde, je jünger sie sind, um so mehr von der Größe der Führung abhängen, ja als Werk überragender Gewaltmenschen und
{079 Joseph II.}
Geistesheroen oft schon nach dem Tode des einsamen großen Begründers wieder zerfallen. Aber noch nach Jahrhunderten können diese Gefahren nicht als überwunden gelten, sie schlummern nur, um oft plötzlich zu erwachen, sobald die Schwäche der gemeinsamen Leitung und die Kraft der Erziehung, die Erhabenheit aller Tradition, nicht mehr den Schwung des eigenen Lebensdranges der verschiedenen Stimme zu überwinden vermag.
Dies nicht begriffen zu haben, ist die vielleicht tragische Schuld des Hauses Habsburg.
Einem einzigen unter ihnen hielt das Schicksal noch einmal die Fackel über die Zukunft seines Landes empor, dann verlosch sie für immer.
Joseph II., römischer Kaiser der deutschen Nation, sah in fliegender Angst, wie sein Haus, auf die äußerste Kante des Reiches gedrängt, dereinst im Strudel eines Völkerbabylons verschwinden müßte, wenn nicht in letzter Stunde das Versäumte der Väter wieder gutgemacht würde. Mit übermenschlicher Kraft stemmte sich der "Freund der Menschen" gegen die Fahrlässigkeit der Vorfahren und suchte in einem Jahrzehnt einzuholen, was Jahrhunderte vordem versäumten. Wären ihm nur vierzig Jahre vergönnt gewesen zu seiner Arbeit und hätten nach ihm auch nur zwei Generationen in gleicher Weise das begonnene Werk fortgeführt, so würde das Wunder wahrscheinlich gelungen sein. Als er aber nach kaum zehn Jahren Regierung, zermürbt an Leib und Seele, starb, sank mit ihm auch sein Werk in das Grab, um, nicht mehr wiedererweckt, in der Kapuzinergruft auf ewig zu entschlafen.
Seine Nachfolger waren der Aufgabe weder geistig noch willensmäßig gewachsen.
Als nun durch Europa die ersten revolutionären Wetterzeichen einer neuen Zeit flammten, da begann auch Österreich langsam nach und nach Feuer zu fangen. Allein als der Brand endlich ausbrach, da wurde die Glut schon weniger durch soziale, gesellschaftliche oder auch allgemeine politische Ursachen angefacht als vielmehr durch Triebkräfte völkischen Ursprungs.
{080 Die Auflösung der Donaumonarchie}
Die Revolution des Jahres 1848 konnte überall Klassenkampf sein, in Österreich jedoch war sie schon der Beginn eines neuen Rassenstreites. Indem damals der Deutsche, diesen Ursprung vergessend oder nicht erkennend, sich in den Dienst der revolutionären Erhebung stellte, besiegelte er damit sein eigenes Los. Er half mit, den Geist der westlichen Demokratie zu erwecken, der in kurzer Zeit ihm die Grundlagen der eigenen Existenz entzog.
Mit der Bildung eines parlamentarischen Vertretungskörpers ohne die vorhergehende Niederlegung und Festigung einer gemeinsamen Staatssprache war der Grundstein zum Ende der Vorherrschaft des Deutschtums in der Monarchie gelegt worden. Von diesem Augenblick an war damit aber auch der Staat selber verloren. Alles, was nun noch folgte, war nur die historische Abwicklung eines Reiches.
Diese Auflösung zu verfolgen, war ebenso erschütternd wie lehrreich. In tausend und aber tausend Formen vollzog sich im einzelnen diese Vollstreckung eines geschichtlichen Urteils. Daß ein großer Teil der Menschen blind durch die Erscheinungen des Zerfalls wandelte, bewies nur den Willen der Götter zu Österreichs Vernichtung.
Ich will hier nicht in Einzelheiten mich verlieren, da dies nicht die Aufgabe dieses Buches ist. Ich will nur jene Vorgänge in den Kreis einer gründlicheren Betrachtung ziehen, die als immer gleichbleibende Ursachen des Verfalles von Völkern und Staaten auch für unsere heutige Zeit Bedeutung besitzen, und die endlich mithalfen, meiner politischen Denkweise die Grundlagen zu sichern.
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Unter den Einrichtungen, die am deutlichsten die Zerfressung der österreichischen Monarchie auch dem sonst nicht mit scharfen Augen gesegneten Spießbürger aufzeigen konnten, befand sich an der Spitze diejenige, die am meisten Stärke ihr eigen nennen sollte - das Parlament oder, wie es in Österreich hieß, der Reichsrat.
{081 Der Parlamentarismus}
Ersichtlich war das Muster dieser Körperschaft in England, dem Lande der klassischen "Demokratie", gelegen. Von dort übernahm man die ganze beglückende Anordnung und setzte sie so unvermindert als möglich nach Wien.
Im Abgeordneten- und Herrenhaus feierte das englische Zweikammersystem seine Wiederauferstehung. Nur die "Häuser" selber waren etwas verschieden. Als Barry einst seinen Parlamentspalast aus den Fluten der Themse her herauswachsen ließ, da griff er in die Geschichte des britischen Weltreichs hinein und holte sich aus ihr den Schmuck für die 1200 Nischen, Konsolen und Säulen seines Prachtbaues heraus. In Bildwerk und Malerkunst wurde so das Haus der Lords und des Volkes zum Ruhmestempel der Nation.
Hier kam die erste Schwierigkeit für Wien. Denn als der Däne Hansen die letzten Giebel am Marmorhaus der neuen Volksvertretung vollendet hatte, da blieb ihm auch zur Zierde nichts anderes übrig, als Entlehnungen bei der Antike zu versuchen. Römische und griechische Staatsmänner und Philosophen verschönern und dieses Theatergebäude der "westlichen Demokratie", und in symbolischer Ironie ziehen über den zwei Häusern die Quadrigen nach den vier Himmelsrichtungen auseinander, auf solche Art dem damaligen Treiben im Innern auch nach außen den besten Ausdruck verleihend.
Die "Nationalitäten" hatten es sich als Beleidigung und Provokation verbeten, daß in diesem Werke österreichische Geschichte verherrlicht würde, so wie man im Reiche selbst ja auch erst unter dem Donner der Weltkriegsschlachten wagte, den Wallotschen Bau des Reichstages durch Inschrift dem deutschen Volke zu weihen.
Als ich, noch nicht zwanzig Jahre alt, zum ersten Male in den Prachtbau am Franzensring ging, um als Zuschauer und Hörer einer Sitzung des Abgeordnetenhauses beizuwohnen, ward ich von den widerstrebendsten Gefühle erfaßt.
Ich hatte schon von jener das Parlament gehaßt, jedoch durchaus nicht als Institution an sich. Im Gegenteil, als freiheitlich empfindender Mensch konnte ich mir eine andere
{082 Der Parlamentarismus}
Möglichkeit der Regierung gar nicht vorstellen, denn der Gedanke irgendeiner Diktatur wäre mir bei meiner Haltung zum Hause Habsburg als Verbrechen wider die Freiheit und gegen jede Vernunft vorgekommen.
Nicht wenig trug dazu bei, daß mir als jungem Menschen infolge meines vielen Zeitunglesens, ohne daß ich dies wohl selber ahnte, eine gewisse Bewunderung für das Englische Parlament eingeimpft worden war, die ich nicht so ohne weiteres zu verlieren vermochte. Die Würde, mit der dort auch das Unterhaus seinen Aufgaben oblag (wie dies unsere Presse so schön zu schildern verstand), imponierte mir mächtig. Konnte es denn überhaupt eine erhabenere Form der Selbstregierung eines Volkstums geben?Gerade deshalb aber war ich ein Feind des österreichischen Parlaments. Ich hielt die Form des ganzen Auftretens für unwürdig des großen Vorbildes. Nun trat aber noch folgendes hinzu:Das Schicksal des Deutschtums im österreichischen Staate war abhängig von seiner Stellung im Reichsrat. Bis zur Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechts war noch eine, wenn auch unbedeutende deutsche Majorität im Parlament vorhanden. Schon dieser Zustand war bedenklich, da bei der national unzuverlässigen Haltung der Sozialdemokratie diese in kritischen, das Deutschtum betreffenden Fragen um sich nicht die Anhänger in den einzelnen Fremdvölkern abspenstig zu machen - immer gegen die deutschen Belange auftrat. Die Sozialdemokratie konnte schon damals nicht als deutsche Partei betrachtet werden. Mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts aber hörte die deutsche Überlegenheit auch rein ziffernmäßig auf. Nun war der weiteren Entdeutschung des Staates kein Hindernis mehr im Wege.
Der nationale Selbsterhaltungstrieb ließ mich schon damals aus diesen Grunde eine Volksvertretung wenig lieben, in der das Deutschtum statt vertreten verraten wurde. Allein dies waren Mängel, die, wie so vieles andere eben auch, nicht der Sache an sich, sondern dem österreichischen Staate zuzuschreiben waren. Ich
{083 Der Parlamentarismus}
glaubte früher noch, daß mit einer Wiederherstellung der deutschen Mehrheit in den Vertretungskörpern zu einer prinzipiellen Stellungnahme dagegen kein Anlaß mehr vorhanden wäre, solange der alte Staat eben überhaupt noch bestünde.
So also innerlich eingestellt, betrat ich zum ersten Male die ebenso geheiligten wie umstrittenen Räume. Allerdings waren sie mir nur geheiligt durch die erhabene Schönheit des herrlichen Baues. Ein hellenisches Wunderwerk auf deutschem Boden.
In wie kurzer Zeit aber war ich empört, als ich das jämmerliche Schauspiel sah, das sich nun unter meinen Augen abrollte!Es waren einige Hundert dieser Volksvertreter anwesend, die eben zu einer Frage von wichtiger wirtschaftlicher Bedeutung Stellung zu nehmen hatten.
Mir genügte schon dieser erste Tag, um mich zum Denken auf Wochen hindurch anzuregen.
Der geistige Gehalt des Vorgebrachten lag auf einer wahrhaft niederdrückenden "Höhe", soweit man das Gerede überhaupt verstehen konnte; denn einige der Herren sprachen nicht deutsch, sondern in ihren slawischen Muttersprachen oder besser Dialekten. Was ich bis dahin nur aus dem Lesen der Zeitungen wußte, hatte ich nun Gelegenheit, mit meinen eigenen Ohren zu hören. Eine gestikulierende, in allen Tonarten durcheinander schreiende, wildbewegte Masse, darüber einen harmlosen alten Onkel, der sich im Schweiße seines Angesichts bemühte, durch heftiges Schwingen einer Glocke und bald begütigende, bald ermahnende ernste Zurufe die Würde des Hauses wieder in Fluß zu bringen.
Ich mußte lachen.
Einige Wochen später war ich neuerdings in dem Hause. Das Bild war verändert, nicht zum Wiedererkennen. Der Saal ganz leer. Man schlief da unten. Einige Abgeordnete waren auf ihren Plätzen und gähnten sich gegenseitig an, einer "redete". Ein Vizepräsident des Hauses war anwesend und sah ersichtlich gelangweilt in den Saal.
{084 Der Parlamentarismus}
Die ersten Bedenken stiegen mir auf. Nun lief ich, wenn mir die Zeit nur irgendwie die Möglichkeit bot, immer wieder hin und betrachtete mir still und aufmerksam das jeweilige Bild, hörte die Reden an, soweit sie zu verstehen waren, studierte die mehr oder minder intelligenten Gesichter dieser Auserkorenen der Nationen dieses traurigen Staates - und machte mir dann allmählich meine eigenen Gedanken.
Ein Jahr dieser ruhigen Beobachtung genügte, um meine frühere Ansicht aber das Wesen dieser Institution aber auch restlos zu ändern oder zu beseitigen. Mein Inneres nahm nicht mehr Stellung gegen die mißgestaltete Form, die dieser Gedanke in Österreich angenommen hatte; nein, nun konnte ich das Parlament als solches nicht mehr anerkennen. Bis dahin sah ich das Unglück des österreichischen Parlaments im Fehlen einer deutschen Majorität, nun aber sah ich das Verhängnis in der ganzen Art und dem Wesen dieser Einrichtung überhaupt.
Eine ganze Reihe von Fragen stieg mir damals auf.
Ich begann mich mit dem demokratischen Prinzip der Mehrheitsbestimmung, als der Grundlage dieser ganzen Einrichtung, vertraut zu machen, schenkte aber auch nicht weniger Aufmerksamkeit den geistigen und moralischen Werten der Herren, die als Auserwählte der Nationen diesem Zwecke dienen sollten.
So lernte ich Institutionen und Träger derselben zugleich kennen.
Im Verlauf einiger Jahre bildete sich mir dann in Erkenntnis und Einsicht der Typ der würdevollsten Erscheinung der neueren Zeit in plastischer Deutlichkeit aus: der Parlamentarier. Er begann sich mir einzuprägen in einer Form, die niemals mehr einer wesentlichen Änderung unterworfen wurde.
Auch dieses Mal hatte mich der Anschauungsunterricht der praktischen Wirklichkeit davor bewahrt, in einer Theorie zu ersticken, die auf den ersten Blick so vielen verführerisch erscheint, die aber nichtsdestoweniger zu den Verfallserscheinungen der Menschheit zu rechnen ist.
{085 Der Parlamentarismus}
Die Demokratie des heutigen Westens ist der Vorläufer des Marxismus, der ohne sie gar nicht denkbar wäre. Sie gibt erst dieser Weltpest den Nährboden, auf dem sich dann die Seuche auszubreiten vermag. In ihrer äußeren Ausdrucksform, dem Parlamentarismus, schuf sie sich noch eine "Spottgeburt aus Dreck und Feuer", bei der mir nur leider das "Feuer" im Augenblick ausgebrannt zu sein scheint.
Ich muß dem Schicksal mehr als dankbar sein, daß es mir auch diese Frage noch in Wien zur Prüfung vorlegte, denn ich fürchte, daß ich mir in Deutschland damals die Antwort zu leicht gemacht haben würde. Hätte ich die Lächerlichkeit dieser Institution, "Parlament" genannt, zuerst in Berlin kennengelernt, so würde ich vielleicht in das Gegenteil verfallen sein und mich, nicht ohne scheinbar guten Grund, auf die Seite derjenigen gestellt haben, die des Volkes und Reiches Heil in der ausschließlichen Förderung der Macht des Kaisergedankens allein erblickten und so der Zeit und den Menschen dennoch fremd und blind zugleich gegenüberstanden.
In Österreich war dies unmöglich.
Hier konnte man nicht so leicht von einem Fehler in den anderen verfallen. Wenn das Parlament nichts taugte, dann taugten die Habsburger noch viel weniger - auf gar keinen Fall mehr. Mit der Ablehnung des "Parlamentarismus" war es hier allein nicht getan; denn dann blieb immer noch die Frage offen: Was nun? Die Ablehnung und Beseitigung des Reichsrates würde als einzige Regierungsgewalt ja nur das Haus Habsburg übriggelassen haben, ein besonders für mich ganz unerträglicher Gedanke.
Die Schwierigkeit dieses besonderen Falles führte mich zu einer gründlicheren Betrachtung des Problems an sich, als dies sonst wohl in so jungen Jahren eingetreten wäre.
Was nur zuallererst und am allermeisten zu denken gab, war das ersichtliche Fehlen jeder Verantwortlichkeit einer einzelnen Person.
Das Parlament fast irgendeinen Beschluß, dessen Folgen noch so verheerend sein mögen niemand trägt dafür eine
{086 Der Mangel an Verantwortung}
Verantwortung, niemand kann je zur Rechenschaft gezogen werden. Denn heißt dies etwa Verantwortung übernehmen, wenn nach einem Zusammenbruch sondergleichen die schuldige Regierung zurücktritt? Oder die Koalition sich ändert, ja das Parlament sich auflöst?
Kann denn überhaupt eine schwankende Mehrheit von Menschen jemals verantwortlich gemacht werden?
Ist denn nicht der Gedanke jeder Verantwortlichkeit an die Person gebunden?
Kann man aber praktisch die leitende Person einer Regierung haftbar machen für Handlungen, deren Werden und Durchführung ausschließlich auf das Konto des Wollens und der Geneigtheit einer Vielheit von Menschen zu sehen sind?
Oder: Wird nicht die Aufgabe des leitenden Staatsmannes, statt in der Geburt des schöpferischen Gedankens oder Planes an sich, vielmehr nur in der Kunst gesehen, die Genialität seiner Entwürfe einer Hammelherde von Hohlköpfen verständlich zu machen, um dann deren gütige Zustimmung zu erbetteln?Ist dies das Kriterium des Staatsmannes, daß er die Kunst der Überredung in ebenso hohem Maße besitze wie die der staatsmännischen Klugheit im Fassen großer Richtlinien oder Entscheidungen?
Ist die Unfähigkeit eines Führers dadurch bewiesen, daß es ihm nicht gelingt, die Mehrheit eines durch mehr oder minder saubere Zufälle zusammengebeulten Haufens für eine bestimmte Idee zu gewinnen?Ja, hat denn dieser Haufe überhaupt schon einmal eine Idee begriffen, ehe der Erfolg zum Verkünder ihrer Größe wurde?
Ist nicht jede geniale Tat auf dieser Welt der sichtbare Protest des Genies gegen die Trägheit der Masse?
Was aber soll der Staatsmann tun, dem es nicht gelingt, die Gunst dieses Haufens für seine Pläne zu erschmeicheln?
Soll er sie erkaufen?
Oder soll er angesichts der Dummheit seiner Mitbürger auf die Durchführung der als Lebensnotwendigkeit er-
{087 Die Zerstörung des Führergedankens}
kannten Aufgaben verzichten, sich zurückziehen, oder soll er dennoch bleiben?
Kommt nicht in einem solchen Falle der wirkliche Charakter in einen unlösbaren Konflikt zwischen Erkenntnis und Anstand oder, besser gesagt, ehrlicher Gesinnung?Wo liegt hier die Grenze, die die Pflicht der Allgemeinheit gegenüber scheidet von der Verpflichtung der persönlichen Ehre?Muß nicht jeder wahrhaftige Führer es sich verbitten, auf solche Weise zum politischen Schieber degradiert zu werden?Und muß nicht umgekehrt jeder Schieber sich nun berufen fühlen, in Politik zu "machen", da die letzte Verantwortung niemals er, sondern irgend ein unfaßbarer Haufe zu tragen hat?Muß nicht unser parlamentarisches Mehrheitsprinzip zur Demolierung des Führergedankens überhaupt führen?
Glaubt man aber, daß der Fortschritt dieser Welt etwa aus dem Gehirn von Mehrheiten stammt und nicht aus den Köpfen einzelner?
Oder vermeint man, vielleicht für die Zukunft dieser Voraussetzung menschlicher Kultur entbehren zu können?Scheint sie nicht im Gegenteil heute nötiger zu sein als je?
Indem das parlamentarische Prinzip der Majoritätsbestimmung die Autorität der Person ablehnt und an deren Stelle die Zahl des jeweiligen Haufens setzt, sündigt es wider den aristokratischen Grundgedanken der Natur, wobei allerdings deren Anschauung vom Adel in keinerlei Weise etwa in der heutigen Dekadenz unserer oberen Zehntausend verkörpert zu sein braucht.
Welche Verwüstungen diese Einrichtung moderner demokratischer Parlamentsherrschaft anrichtet, kann sich freilich der Leser jüdischer Zeitungen schwer vorstellen, sofern er nicht selbständig denken und prüfen gelernt hat. Sie ist in erster Linie der Anlaß für die unglaubliche Überschwemmung des gesamten politischen Lebens mit den minderwertigsten Erscheinungen unserer Tage. So sehr sich der
{088 Die Ausschaltung von Köpfen}
wahrhaftige Führer von einer politischen Betätigung zurückziehen wird, die zu ihrem größten Teile nicht in schöpferischer Leistung und Arbeit bestehen kann, als vielmehr im Feilschen und Handeln um die Gunst einer Mehrheit, so sehr wird gerade diese Tätigkeit dem kleinen Geist entsprechen und diesen mithin auch anziehen.
Je zwergenhafter ein solcher Lederhändler heute an Geist und Können ist, je klarer ihm die eigene Einsicht die Jämmerlichkeit seiner tatsächlichen Erscheinung zum Bewußtsein bringt, um so mehr wird er ein System preisen, das von ihm gar nicht die Kraft und Genialität eines Riesen verlangt, sondern vielmehr mit der Pfiffigkeit eines Dorfschulzen vorlieb nimmt, ja, eine solche Art von Weisheit lieber sieht als die eines Perikles. Dabei braucht solch ein Tropf sich nie mit der Verantwortung seines Wirkens abzuquälen. Er ist dieser Sorge schon deshalb gründlich enthoben, da er ja genau weiß, daß, ganz gleich, wie immer auch das Ergebnis seiner "staatsmännischen" Murkserei sein wird, sein Ende ja doch schon längst in den Sternen verzeichnet steht: er wird eines Tages einem anderen, ebenso großen Geist den Platz zu räumen haben. Denn dies ist mit ein Kennzeichen eines solchen Verfalls, daß die Menge großer Staatsmänner in eben dem Maße zunimmt, in dem der Maßstab des einzelnen zusammenschrumpft. Er wird aber mit zunehmender Abhängigkeit von parlamentarischen Mehrheiten immer kleiner werden müssen, da sowohl die großen Geister es ablehnen werden, die Büttel blöder Nichtskönner und Schwätzer zu sein, wie umgekehrt die Repräsentanten der Majorität, das ist also der Dummheit, nichts inständiger hassen als den überlegenen Kopf.
Es ist immer ein tröstliches Gefühl für solch eine Ratsversammlung Schildaer Stadtverordneter, einen Führer an der Spitze zu wissen, dessen Weisheit dem Niveau der Anwesenden entspricht: hat doch so jeder die Freude, von Zeit zu Zeit auch seinen Geist dazwischen blitzen lassen zu können und vor allem aber, wenn Hinze Meister sein kann, warum dann nicht auch einmal Peter?
{089 Die Ausschaltung von Köpfen}
Am innigsten entspricht diese Erfindung der Demokratie aber einer Eigenschaft, die in letzter Zeit zu einer wahren Schande ausgewachsen ist, nämlich der Feigheit eines großen Teils unseres sogenannten "Führertums". Welch ein Glück, sich in allen wirklichen Entscheidungen von einiger Bedeutung hinter den Rockschößen einer sogenannten Majorität verstecken zu können!Man sehe sich nur solch einen politischen Strauchdieb einmal an, wie er besorgt zu jeder Verrichtung sich die Zustimmung der Mehrheit erbettelt, um sich so die notwendigen Spießgesellen zu sichern und damit jederzeit die Verantwortung abladen zu können. Dies aber ist mit der Hauptgrund, warum eine solche Art von politischer Betätigung einem innerlich anständigen und damit aber auch mutigen Mann widerlich und verhaßt ist, wahrend es alle elenden Charaktere und wer nicht für seine Handlung persönlich auch die Verantwortung übernehmen will, sondern nach Deckung sucht, ist ein feiger Lump - anzieht. Sowie aber erst einmal die Leiter einer Nation aus solchen Jämmerlingen bestehen, dann wird sich dies schon in kurzer Zeit böse rächen. Man wird dann zu keiner entschlossenen Handlung mehr den Mut aufbringen, wird jede, auch noch so schmähliche Entehrung lieber hinnehmen, als sich zu einem Entschlusse aufzuraffen; ist doch niemand mehr da, der von sich aus bereit ist, seine Person und seinen Kopf für die Durchführung einer rücksichtslosen Entscheidung einzusetzen.
Denn eines soll und darf man nie vergessen: Die Majorität kann auch hier den Mann niemals ersetzen. Sie ist nicht nur immer eine Vertreterin der Dummheit, sondern auch der Feigheit. Und so wenig hundert Hohlköpfe einen Weisen ergeben, so wenig kommt ans hundert Feiglingen ein heldenhafter Entschluß.
Je leichter aber die Verantwortung des einzelnen Führers ist, um so mehr wird die Zahl derjenigen wachsen, die selbst bei jämmerlichsten Ausmaßen sich berufen fühlen werden, ebenfalls der Nation ihre unsterblichen Kräfte zur Verfügung zu stellen. ja, sie werden es gar nicht mehr er-
{090 Die Ausschaltung von Köpfen}
warten können, endlich einmal auch an die Reihe zu kommen; sie stehen an in einer langen Kolonne und zählen mit schmerzlichem Bedauern die Zahl der vor ihnen Wartenden und rechnen die Stunde fast aus, die menschlichem Ermessen nach sie zum Zuge bringen wird. Daher ersehnen sie jeden Wechsel in dem ihnen vorschwebenden Amte und sind dankbar für jeden Skandal, der die Reihe vor ihnen lichtet. Will jedoch einmal einer nicht von der eingenommenen Stelle wieder weichen, so empfinden sie dies fast als Bruch eines heiligen Abkommens gemeinsamer Solidarität. Dann werden sie bösartig und ruhen nicht eher, als bis der Unverschämte, endlich gestürzt, seinen warmen Platz der Allgemeinheit wieder zur Verfügung stellt. Er wird dafür nicht so schnell wieder an diese Stelle gelangen. Denn sowie eine dieser Kreaturen ihren Posten aufzugeben gezwungen ist, wird sie sich sofort wieder in die allgemeine Reihe der Wartenden einzuschieben versuchen, sofern nicht das dann anhebende Geschrei und Geschimpfe der anderen sie davon abhält.
Die Folge von dem allem ist der erschreckend schnelle Wechsel in den wichtigsten Stellen und Ämtern eines solchen Staatswesens, ein Ergebnis, das in jedem Falle ungünstig manchmal aber geradezu katastrophal wirkt. Denn nun wird ja nicht nur der Dummkopf und Unfähige dieser Sitte zum Opfer fallen, sondern noch mehr der wirkliche Führer, wenn das Schicksal einen solchen an diese Stelle Zu setzen überhaupt noch fertigbringt. Sowie man nur einmal dieses erkannt hat, wird sich sofort eine geschlossene Front zur Abwehr bilden, besonders wenn ein solcher Kopf, ohne aus den eigenen Reihen zu stammen, dennoch sich untersteht, in diese erhabene Gesellschaft einzudringen. Man will da grundsatzlich nur unter sich sein und haßt als gemeinsamen Feind jeden Schädel, der unter den Nullen etwa einen Einser ergeben könnte. Und in dieser Richtung ist der Instinkt um so schärfer, je mehr er auch in allen anderen fehlen mag.
So wird die Folge eine immer mehr um sich greifende geistige Verarmung der führenden Schichten sein. Was da-
{091 Die Ausschaltung von Köpfen}
bei für die Nation und den Staat herauskommt, kann jeder selbst ermessen, soweit er nicht persönlich zu dieser Sorte von "Führern" gehört.
Das alte Österreich besaß das parlamentarische Regiment bereits in Reinkultur.
Wohl wurden die jeweiligen Ministerpräsidenten vom Kaiser und König ernannt, allein schon diese Ernennung war nichts anderes als die Vollstreckung parlamentarischen Wollens. Das Feilschen und Handeln aber um die einzelnen Ministerposten war schon westliche Demokratie von reinstem Wasser. Die Ergebnisse entsprachen auch den angewandten Grundsätzen. Besonders der Wechsel der einzelnen Persönlichkeiten trat schon in immer kürzeren Fristen ein, um endlich zu einem wahrhaften Jagen zu werden. In demselben Maße sank die Größe der jeweiligen "Staatsmänner" immer mehr zusammen, bis endlich überhaupt nur jener kleine Typ von parlamentarischen Schiebern übrigblieb, deren staatsmännischer Wert nur mehr nach ihrer Fähigkeit gemessen und anerkannt wurde, mit der es ihnen gelang, die jeweiligen Koalitionen zusammenzukleistern, also jene kleinsten politischen Handelsgeschäfte durchzuführen, die ja allein die Eignung dieser Volksvertreter für praktische Arbeit zu begründen vermögen.
So konnte einem die Wiener Schule auf diesem Gebiete die besten Einblicke vermitteln.
Was mich nicht weniger anzog, war der Vergleich zwischen dem vorhandenen Können und Wissen dieser Volksvertreter und den Aufgaben, die ihrer harrten. Freilich mußte man sich dann aber, man mochte wollen oder nicht, mit dem geistigen Horizont dieser Auserwählten der Völker selber näher beschäftigen, wobei es sich dann gar nicht mehr umgehen ließ, auch den Vorgängen, die zur Entdeckung dieser Prachterscheinungen unseres öffentlichen Leben führen, die nötige Beachtung zu schenken.
Auch die Art und Weise, in der das wirkliche Können dieser Herren in den Dienst des Vaterlandes gestellt und angewendet wurde, also der technische Vorgang ihrer Be-
{092 Die "Öffentliche Meinung"}
tätigung war wert, gründlich untersucht und geprüft zu werden.
Das gesamte Bild des parlamentarischen Lebens ward dann um so jämmerlicher, je mehr man sich entschloß, in diese inneren Verhältnisse einzudringen, Personen und sachliche Grundlagen mit rücksichtslos scharfer Objektivität zu studieren. Ja, dies ist sehr angezeigt einer Institution gegenüber, die sich veranlaßt sieht, durch ihre Träger in jedem zweiten Satz auf "Objektivität" als die einzige gerechte Grundlage zu jeglicher Prüfung und Stellungnahme überhaupt hinzuweisen. Man prüfe diese Herren selber und die Gesetze ihres bitteren Daseins, und man wird aber das Ergebnis nur staunen.
Es gibt gar kein Prinzip, das, objektiv betrachtet, so unrichtig ist wie das parlamentarische.
Man darf dabei noch ganz absehen von der Art, in der die Wahl der Herren Volksvertreter stattfindet, wie sie überhaupt zu ihrem Amte und zu ihrer neuen Würde gelangen. Daß es sich hierbei nur zu einem wahrhaft winzigen Bruchteil um die Erfüllung eines allgemeinen Wunsches oder gar eines Bedürfnisses handelt, wird jedem sofort einleuchten, der sich klarmacht, daß das politische Verständnis der breiten Masse gar nicht so entwickelt ist, um von sich aus zu bestimmten allgemein politischen Anschauungen zu gelangen und die dafür in Frage kommenden Personen auszusuchen.
Was wir immer mit dem Worte "öffentliche Meinung" bezeichnen, beruht nur zu einem kleinsten Teile auf selbstgewonnenen Erfahrungen oder gar Erkenntnissen der einzelnen, zum größten Teil dagegen auf der Vorstellung, die durch eine oft ganz unendlich eindringliche und beharrliche Art von sogenannter "Aufklärung" hervorgerufen wird.
So wie die konfessionelle Einstellung das Ergebnis der Erziehung ist und nur das religiöse Bedürfnis an sich im Innern des Menschen schlummert, so stellt auch die politische Meinung der Masse nur das Endresultat einer manchmal ganz unglaublich zähen und gründlichen Bearbeitung von Seele und Verstand dar.
{093 Die "Öffentliche Meinung"}
Der weitaus gewaltigste Anteil an, der politischen "Erziehung", die man in diesem Falle mit dem Wort Propaganda sehr treffend bezeichnet, fällt auf das Konto der Presse. Sie besorgt in erster Linie diese "Aufklärungsarbeit" und stellt damit eine Art von Schule für die Erwachsenen dar. Nun liegt dieser Unterricht nicht in der Hand des Staates, sondern in den Klauen von zum Teil höchst minderwertigen Kräften. Ich hatte gerade in Wien schon als junger Mensch die allerbeste Gelegenheit, Inhaber und geistige Fabrikanten dieser Massenerziehungsmaschine richtig kennenzulernen. Ich mußte im Anfang staunen, in wie kurzer Zeit es dieser schlimmen Großmacht im Staate möglich wurde, eine bestimmte Meinung zu erzeugen, auch wenn es sich dabei um die vollständige Umfälschung sicher vorhandener innerer Wünsche und Anschauungen der Allgemeinheit handeln mochte. In wenigen Tagen war da aus einer lächerlichen Sache eine bedeutungsvolle Staatsaktion gemacht, während umgekehrt zu gleicher Zeit lebenswichtige Probleme dem allgemeinen Vergessen anheimfielen, besser aber einfach aus dem Gedächtnis und der Erinnerung der Masse gestohlen wurden.
So gelang es, im Verlaufe weniger Wochen Namen aus dem Nichts hervorzuzaubern, unglaubliche Hoffnungen der breiten Öffentlichkeit an sie zu knüpfen, ja ihnen Popularität zu verschaffen, die dem wirklich bedeutenden Manne oft in seinem ganzen Leben nicht zuteil zu werden vermag; Namen, die dabei noch vor einem Monat überhaupt kein Mensch aber auch nur dem Hören nach kannte, wahrend in der gleichen Zeit alte, bewährte Erscheinungen des staatlichen oder sonstigen öffentlichen Lebens bei bester Gesundheit einfach für die Mitwelt abstarben oder mit solch elenden Schmähungen überhäuft wurden, daß ihr Name in kurzem drohte, zum Symbol einer ganz bestimmten Niedertracht oder Schurkerei zu werden. Man muß diese infame jüdische Art, ehrlichen Menschen mit einem Male und wie auf Zauberspruch zugleich von hundert und aller hundert Stellen aus die Schmutzkübel niedrigster Verleumdungen und Ehrabschneidungen aber das saubere Kleid
{094 Die "Öffentliche Meinung"}
zu gießen, studieren, um die ganze Gefahr dieser Presselumpen richtig würdigen zu können.
Es gibt dann nichts, das solch einem geistigen Raubritter nicht passend wäre, um zu seinen sauberen Zielen zu kommen.
Er wird dann bis in die geheimsten Familienangelegenheiten hineinschnüffeln und nicht eher ruhen, als bis sein Trüffelsuchinstinkt irgendeinen armseligen Vorfall aufstöbert, der dann bestimmt ist, dem unglücklichen Opfer den Garaus zu machen. Findet sich aber weder im öffentlichen noch im privaten Leben selbst bei gründlichstem Abriechen rein gar nichts, dann greift so ein Bursche einfach zur Verleumdung in der festen Überzeugung, daß nicht nur an und für sich auch bei tausendfältigem Widerrufe doch immer etwas hängen bleibt, sondern daß infolge der hundertfachen Wiederholung, die die Ehrabschneidung durch alle seine sonstigen Spießgesellen sofort findet, ein Kampf des Opfers dagegen in den meisten Fällen gar nicht möglich ist; wobei aber dieses Lumpenpack niemals etwa aus Motiven, wie sie vielleicht bei der anderen Menschheit glaubhaft oder wenigstens verständlich waren, etwas unternimmt. Gott bewahre! Indem so ein Strolch die liebe Mitwelt in der schurkenhaftesten Weise angreift, hüllt sich dieser Tintenfisch in eine wahre Wolke von Biederkeit und salbungsvollen Phrasen, schwatzt von "journalistischer Pflicht" und ähnlichem verlogenem Zeug, ja versteigt sich sogar noch dazu, bei Tagungen und Kongressen, also Anlässen, die diese Plage in größerer Zahl beisammensehen, von einer ganz besonderen, nämlich der journalistischen "Ehre" zu salbadern, die sich das versammelte Gesindel dann gravitätisch gegenseitig bestätigt.
Dieses Pack aber fabriziert zu mehr als zwei Dritteln die sogenannte "öffentliche Meinung", deren Schaum dann die parlamentarische Aphrodite entsteigt.
Um dieses Verfahren richtig zu schildern und in seiner ganzen verlogenen Unwahrhaftigheit darzustellen, müßte man Bände schreiben. Allein, auch wenn man von dem ganz absieht und nur das gegebene Produkt samt seiner
{095 Das Mehrheitsprinzip}
Tätigkeit betrachtet, so scheint mir dies genügend, um den objektiven Irrsinn dieser Einrichtung auch für das strenggläubige Gemüt aufdämmern zu lassen.
Man wird diese ebenso unsinnige wie gefährliche menschliche Verwirrung am ehesten und auch am leichtesten verstehen, sobald man den demokratischen Parlamentarismus in Vergleich bringt mit einer wahrhaften germanischen Demokratie.
Das Bemerkenswerte des ersteren liegt darin, daß eine Zahl von sagen wir fünfhundert Männern oder in letzter Zeit auch Frauen gewählt wird, denen nun in allem und jedem die endgültige Entscheidung zu treffen obliegt. Sie sind so praktisch allein die Regierung; denn wenn auch von ihnen ein Kabinett gewählt wird, das nach außen hin die Leitung der Staatsgeschäfte vornimmt, so ist dies trotzdem nur zum Scheine da. In Wirklichkeit kann diese sogenannte Regierung nicht einen Schritt tun, ohne sich nicht vorher erst die Genehmigung von der allgemeinen Versammlung geholt zu haben. Sie ist aber damit auch für gar nichts verantwortlich zu machen, da die letzte Entscheidung ja niemals bei ihr liegt, sondern bei der Majorität des Parlaments. Sie ist in jedem Falle nur die Vollstreckerin des jeweiligen Mehrheitswillens. Man könnte ihre politische Fähigkeit eigentlich nur beurteilen nach der Kunst, mit der sie es versteht, sich entweder dem Willen der Mehrheit anzupassen oder die Mehrheit zu sich herüberzuziehen. Sie sinkt damit aber von der Höhe einer tatsächlichen Regierung herunter zu einer Bettlerin gegenüber der jeweiligen Majorität. Ja, ihre vordringlichste Aufgabe hat nun überhaupt nur mehr darin zu bestehen, von Fall zu Fall sich entweder die Gunst der bestehenden Mehrheit zu sichern oder die Bildung einer besser geneigten neuen zu übernehmen. Gelingt dies, dann darf sie wieder eine kleine Zeit weiter "regieren", gelingt es nicht, dann kann sie gehen. Die Richtigkeit ihrer Absichten an und für sich spielt dabei gar keine Rolle.
Damit aber wird jede Verantwortlichkeit praktisch ausgeschaltet.
{096 Das Mehrheitsprinzip}
Zu welchen Folgen dies führt, geht schon aus einer ganz einfachen Betrachtung hervor:Die innere Zusammensetzung der fünfhundert gewählten Volksvertreter nach Beruf oder gar nach den Fähigkeiten der einzelnen ergibt ein ebenso zerrissenes wie meist auch noch kümmerliches Bild. Denn man wird doch nicht etwa glauben, daß diese Auserwählten der Nation auch ebenso Auserwählte des Geistes oder auch nur des Verstandes sind! Man wird hoffentlich nicht meinen, daß aus den Stimmzetteln einer alles eher als geistreichen Wählerschaft die Staatsmänner gleich zu hunderten herauswachsen. Überhaupt kann man dem Unsinn gar nicht scharf genug entgegentreten, daß aus allgemeinen Wahlen Genies geboren werden. Zum ersten gibt es in einer Nation nur alle heiligen Zeiten einmal einen wirklichen Staatsmann und nicht gleich an die hundert und mehr auf einmal; und zum zweiten ist die Abneigung der Masse gegen jedes überragende Genie eine geradezu instinktive. Eher geht auch ein Kamel durch ein Nadelöhr, ehe ein großer Mensch durch eine Wahl "entdeckt" wird.
Was wirklich aber das Normalmaß des breiten Durchschnitts hinausragt, pflegt sich in der Weltgeschichte meistens persönlich anzumelden.
So aber stimmen fünfhundert Menschen von mehr als bescheidenen Ausmaßen über die wichtigsten Belange der Nation ab, setzen Regierungen ein, die sich dann selber wieder in jedem einzelnen Falle und jeder besonderen Frage die Zustimmung der erlauchten Ratsversammlung zu holen haben, mithin wird also, tatsächlich die Politik von fünfhundert gemacht.
Und danach sieht sie auch meistens aus.
Aber selbst die Genialität dieser Volksvertreter ganz aus dem Spiele gelassen, bedenke man doch, welch verschiedener Art die Probleme sind, die einer Erledigung harren, auf welch auseinanderliegenden Gebieten Lösungen und Entscheidungen getroffen werden müssen, und man wird wohl begreifen, wie untauglich hierzu eine Regierungseinrichtung sein muß, die das letzte Bestimmungsrecht einer
{097 Das Mehrheitsprinzip}
Massenversammlung von Menschen überträgt, von der immer nur ein ganz winziger Bruchteil Kenntnisse und Erfahrung in der zur Behandlung stehenden Angelegenheit besitzt. Die wichtigsten wirtschaftlichen Maßnahmen werden so einem Forum unterbreitet, das nur zu einem Zehntel seiner Mitglieder wirtschaftliche Vorbildung aufzuweisen hat. Das heißt aber doch nichts anderes, als die letzte Entscheidung in einer Sache in die Hände von Männern legen, denen jegliche Voraussetzung hierzu vollkommen fehlt.
So ist es aber mit jeder anderen Frage auch. Immer wird durch eine Mehrheit von Nichtswissern und Nichtskönnern der Ausschlag gegeben werden, da ja die Zusammensetzung dieser Einrichtung unverändert bleibt, während sich die zur Behandlung stehenden Probleme auf fast alle Gebiete des öffentlichen Lebens erstrecken, mithin einen dauernden Wechsel der über sie urteilenden und bestimmenden Abgeordneten voraussetzen werden. Es ist doch unmöglich, über Verkehrsangelegenheiten dieselben Menschen verfügen zu lassen wie, sagen wir, über eine Frage hoher Außenpolitik. Es müßten dies anders denn lauter Universalgenies sein, wie sie in Jahrhunderten kaum einmal in wirkliche Erscheinung treten. Leider handelt es sich hier aber zumeist überhaupt um keine "Köpfe", sondern um ebenso beschrankte wie eingebildete und aufgeblasene Dilettanten, geistige Halbwelt übelster Sorte. Daher kommt auch die so oft unverständliche Leichtsinnigkeit, mit der diese Herrschaften über Dinge reden und beschließen, die selbst den größten Geistern sorgenvolle Überlegung bereiten würden. Maßnahmen von der schwersten Bedeutung für die Zukunft eines ganzen Staates, ja einer Nation werden da getroffen, als ob eine ihnen sicher besser zustehende Partie Schafkopf oder Tarock auf dem Tisch läge und nicht das Schicksal einer Rasse.
Nun wäre es sicher ungerecht, zu glauben, daß jeder der Abgeordneten eines solchen Parlaments von sich aus schon immer mit so geringen Gefühlen für Verantwortung behaftet gewesen sei.
{098 Das Verderben des Charakters}
Nein, durchaus nicht.
Aber indem dieses System den einzelnen zwingt, zu solchen ihm gar nicht liegenden Fragen Stellung zu nehmen, verdirbt es allmählich den Charakter. Keiner wird den Mut aufzubringen vermögen, zu erklären: "Meine Herren, ich glaube, wir verstehen von dieser Angelegenheit nichts. Ich persönlich wenigstens auf keinen Fall." (Im übrigen würde dies auch nur wenig ändern, denn sicher bliebe diese Art von Aufrichtigkeit nicht nur gänzlich unverstanden, sondern man ließe sich auch wohl kaum durch solch einen ehrlichen Esel das allgemeine Spiel verderben.) Wer die Menschen nun aber kennt, wird begreifen, daß in einer so illustren Gesellschaft nicht gerne einer der Dümmste sein möchte, und in gewissen Kreisen ist Ehrlichkeit immer gleichbedeutend mit Dummheit.
So wird auch der zunächst noch ehrenhafte Vertreter zwangsläufig in diese Bahn der allgemeinen Verlogenheit und Betrügerei geworfen. Gerade die Überzeugung, daß das Nichtmittun eines einzelnen an der Sache an und für sich gar nichts ändern würde, tötet jede ehrliche Regung, die dem einen oder anderen etwa noch aufsteigen mag. Er wird sich zum Schlusse noch einreden, daß er persönlich noch lange nicht der Schlechteste unter den anderen sei und durch sein Mittun nur vielleicht Ärgeres verhüte.
Greilich wird man den Einwand bringen, daß allerdings der einzelne Abgeordnete in dieser oder jener Sache kein besonderes Verständnis besitze, über seine Stellungnahme ja von der Fraktion als Leiterin der Politik des betreffenden Herrn doch beraten werde; diese habe ihre besonderen Ausschüsse, die von Sachverständigen ohnehin mehr als genügend erleuchtet würden.
Dies scheint auf den ersten Blick zu stimmen. Aber die Frage wäre doch dann die: Warum wählt man fünfhundert, wenn doch nur einige die nötige Weisheit zur Stellungnahme in den wichtigsten Belangen besitzen?Ja, darin liegt eben des Pudels Kern.
Es ist nicht das Ziel unseres heutigen demokratischen Parlamentarismus, etwa eine Versammlung von Weisen
{099 Die jüdische Demokratie}
zu bilden, als vielmehr eine Schar geistig abhängiger Nullen zusammenzustellen, deren Leitung nach bestimmten Richtlinien um so leichter wird, je größer die persönliche Beschränktheit des einzelnen ist. Nur so kann Parteipolitik im heutigen üblen Sinne gemacht werden. Nur so aber ist es auch möglich, daß der eigentliche Drahtzieher immer vorsichtig im Hintergrund zu bleiben vermag, ohne jemals persönlich zur Verantwortung gezogen werden zu können. Denn nun wird jede der Nation auch noch so schädliche Entscheidung ja nicht auf das Konto eines aller sichtbaren Lumpen kommen, sondern auf die Schultern einer ganzen Fraktion abgeladen werden.
Damit aber fallt jede praktische Verantwortung weg, denn diese kann nur in der Verpflichtung einer einzelnen Person liegen und nicht in der einer parlamentarischen Schwätzervereinigung.
Diese Einrichtung kann nur den allerverlogensten und zugleich besonders das Tageslicht scheuenden Schliefern lieb und wert sein, während sie jedem ehrlichen, geradlinigen, zur persönlichen Verantwortung bereiten Kerl verhaßt sein muß.
Daher ist diese Art von Demokratie auch das Instrument derjenigen Rasse geworden, die ihren inneren Zielen nach die Sonne zu scheuen hat, jetzt und in allen Zeiten der Zukunft. Nur der Jude kann eine Einrichtung preisen, die schmutzig und unwahr ist wie er selber.
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Dem steht gegenüber die wahrhaftige germanische Demokratie der freien Wahl des Führers mit dessen Verpflichtung zur vollen Übernahme aller Verantwortung für sein Tun und Lassen. In ihr gibt es keine Abstimmung einer Majorität zu einzelnen Fragen, sondern nur die Bestimmung eines einzigen, der dann mit Vermögen und Leben für seine Entscheidung einzutreten hat.
Wenn man mit dem Einwand kommen wird, daß unter solchen Voraussetzungen sich schwerlich jemand bereitfinden
{100 Die germanische Demokratie}
dürfte, seine Person einer so riskanten Aufgabe zu widmen, so muß darauf nur eines geantwortet werden:Gott sei gedankt, darin liegt ja eben der Sinn einer germanischen Demokratie, daß nicht der nächstbeste unwürdige Streber und moralische Drückeberger auf Umwegen zur Regierung seiner Volksgenossen kommt, sondern daß schon durch die Größe der zu übernehmenden Verantwortung Nichtskönner und Schwächlinge zurückgeschreckt werden.
Sollte sich aber dennoch einmal ein solcher Bursche einzustehlen versuchen, dann kann man ihn leichter finden und rücksichtslos anfahren: Hinweg, feiger Lump! Ziehe den Fuß zurück, du beschmutzest die Stufen; denn der Vorderaufstieg in das Pantheon der Geschichte ist nicht für Schleicher da, sondern für Helden!
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"
Zu dieser Anschauung hatte ich mich nach zweijährigem Besuch des Wiener Parlaments durchgerungen.
Ich ging dann nicht mehr weiter hinein.
Das parlamentarische Regiment hatte mit ein Hauptverdienst an der in den letzten Jahren immer mehr zunehmenden Schwäche des alten habsburgischen Staates. Je mehr durch sein Wirken die Vorherrschaft des Deutschtums gebrochen wurde, um so mehr verfiel man nun einem System der Ausspielung der Nationalitäten untereinander. Im Reichsrat selber ging dies immer auf Kosten der Deutschen und damit allerdings in erster Linie auf Kosten des Reiches; denn um die Jahrhundertwende schon mußte auch dem Allereinfältigsten einleuchten, daß die Anziehungskraft der Monarchie die Loslösungsbestrebungen der Länder nicht mehr zu bannen vermochte.
Im Gegenteil.
Je armseliger die Mittel wurden, die der Staat zu seiner Erhaltung aufzuwenden hatte, um so mehr stieg die allgemeine Verachtung für ihn. Nicht nur in Ungarn, sondern auch in den einzelnen slawischen Provinzen fühlte man sich mit der gemeinsamen Monarchie so wenig mehr identisch, daß ihre Schwäche keineswegs als eigene Schande emp-
{101 Die zusammenbrechende Doppelmonarchie}
funden wurde. Man freute sich eher noch über solche Anzeichen des eintretenden Alters; hoffte man doch mehr auf ihren Tod als auf ihre Gesundung.
Im Parlament wurde der vollkommene Zusammenbruch noch verhindert durch ein würdeloses Nachgeben und Erfüllen aber auch jeder Erpressung, die dann der Deutsche zu bezahlen hatte; im Lande durch ein möglichst geschicktes Ausspielen der einzelnen Völker gegeneinander. Allein die allgemeine Linie der Entwicklung war dennoch gegen die Deutschen gerichtet. Besonders seit die Thronfolgerschaft dem Erzherzog Franz Ferdinand einen gewissen Einfluß einzuräumen begann, kam in die von oben herunter betriebene Tschechisierung Plan und Ordnung. Mit allen nur möglichen Mitteln versuchte dieser zukünftige Herrscher der Doppelmonarchie der Entdeutschung Vorschub zu leisten oder sie selber zu fördern, mindestens aber zu decken. Rein deutsche Orte wurden so über den Umweg der staatlichen Beamtenschaft langsam, aber unbeirrt sicher in die gemischtsprachliche Gefahrenzone hineingeschoben. Selbst in Niederösterreich begann dieser Prozeß immer schnellere Fortschritte zu machen, und Wien galt vielen Tschechen schon als ihre größte Stadt.
Der leitende Gedanke dieses neuen Habsburgers, dessen Familie nur mehr Tschechisch sprach (die Gemahlin des Erzherzogs war als ehemalige tschechische Gräfin dem Prinzen morganatisch angetraut; sie stammte aus Kreisen, deren deutschfeindliche Stellung Tradition bildete), war, in Mitteleuropa allmählich einen slawischen Staat aufzurichten, der zum Schutze gegen das orthodoxe Rußland auf streng katholische Grundlage gestellt werden sollte. Damit wurde, wie schon öfters bei den Habsburgern, die Religion wieder einmal in den Dienst eines rein politischen Gedankens, noch dazu eines - wenigstens von deutschen Gesichtspunkten aus betrachtet - unseligen Gedankens, gestellt.
Das Ergebnis war ein mehr als trauriges in vielfacher Hinsicht.
Weder das Haus Habsburg noch die katholische Kirche bekamen den erwarteten Lohn.
{102 Habsburg und Deutschtum}
Habsburg verlor den Thron, Rom einen großen Staat. Denn indem die Krone auch religiöse Momente in den Dienst ihrer politischen Erwägungen stellte, rief sie einen Geist wach, den sie selber zunächst freilich nicht für möglich gehalten hatte.
Aus dem Versuch, mit allen Mitteln das Deutschtum in der alten Monarchie auszurotten, erwuchs als Antwort die alldeutsche Bewegung in Österreich.
Mit den achtziger Jahren hatte der manchesterliche Liberalismus jüdischer Grundeinstellung auch in der Monarchie den Höhepunkt erreicht, wenn nicht schon überschritten. Die Reaktion dagegen kam jedoch, wie bei allem im alten Österreich, nicht aus in erster Linie sozialen Gesichtspunkten heraus, sondern aus nationalen. Der Selbsterhaltungstrieb zwang das Deutschtum, in schärfster Form sich zur Wehr zu setzen. Erst in zweiter Linie begannen langsam auch wirtschaftliche Erwägungen maßgebenden Einfluß zu gewinnen. So schälten sich zwei Parteigebilde aus dem allgemeinen politischen Durcheinander heraus, das eine mehr national, das andere mehr sozial eingestellt, beide aber hochinteressant und lehrreich für die Zukunft.
Nach dem niederdrückenden Ende des Krieges 1866 trug das Haus Habsburg sich mit dem Gedanken einer Wiedervergeltung auf dem Schlachtfelde. Nur der Tod des Kaisers Max von Mexiko, dessen unglückliche Expedition man in erster Linie Napoleon III. zuschrieb, und dessen Fallenlassen durch den Franzosen allgemeine Empörung wachrief, verhinderte ein engeres Zusammengehen mit Frankreich. Dennoch lag Habsburg damals auf der Lauer. Wäre der Krieg von 1870/71 nicht zu einem so einzigartigen Siegeszug geworden, so hätte der Wiener Hof wohl doch noch das blutige Spiel um die Rache für Sadowa gewagt. Als aber die ersten Heldenmären von den Schlachtfeldern eintrafen, wundersam und kaum zu glauben, aber dennoch wahr, da erkannte der "weiseste" aller Monarchen die unpassende Stunde und machte eine möglichst gute Miene zum bösen Spiel.
Der Heldenkampf dieser beiden Jahre hatte aber noch ein
{103 Rebellion der Deutschösterreicher}
viel gewaltigeres Wunder vollbracht; denn bei den Habsburgern entsprach die veränderte Stellungnahme niemals dem Drang des inneren Herzens, sondern dem Zwang der Verhältnisse. Das deutsche Volk in der alten Ostmark aber wurde von dem Siegesrausche des Reiches mitgerissen und sah mit tiefer Ergriffenheit das Wiederaufstehen des Traumes der Väter zur herrlichsten Wirklichkeit.
Denn man täusche sich nicht: der wahrhaft deutschgesinnte Österreicher hatte auch in Königgrätz von diesen Stunden an nur mehr die ebenso tragische wie aber auch notwendige Voraussetzung erkannt zur Wiederaufrichtung eines Reiches, das nicht mehr mit dem fauligen Marasmus des alten Bundes behaftet sein sollte und es auch nicht mehr war. Er lernte vor allem auch am gründlichsten am eigenen Leibe zu fühlen, daß das Haus Habsburg seine geschichtliche Sendung endlich beendet hatte und das neue Reich nur mehr den zum Kaiser küren dürfe, der in seiner heldischen Gesinnung der "Krone des Rheines" ein würdiges Haupt zu bieten habe. Wieviel mehr noch aber war das Schicksal zu preisen, da es diese Belehnung an dem Sprossen eines Hauses vollzog, das in Friedrich dem Großen schon einmal der Nation in verschwommener Zeit ein leuchtendes Sinnbild zur Erhebung für immer geschenkt hatte.
Als aber nach dem großen Kriege das Haus Habsburg mit der letzten Entschlossenheit daranging, das gefährliche Deu
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